Robert Hamerling                    Menschenleben

1830 – 1889

Heut lallen an der Mutterbrust, der weichen,

Zu Rosse morgen ziehn in stolzem Trabe,

Und übermorgen dann als müder Knabe

Mit grauen Haaren an der Klücke schleichen:

 

das Glück erspähn und nimmer es erreichen,

Sich hundertmal als einzig süße Labe

Den Tod erflehn und schaudern vor dem Grabe,

Das Sein verwünschen, vor dem Nichts erbleichen:

 

In langer Weil’, in Weinen oder Lachen,

In Sehnen, Sinnen, Hoffen und erbeben

Den Tag verträumen und die Nacht durchwachen,

 

Dazu die Frage schmerzlich oft erheben,

Was all das soll: Das ist in tausend Sprachen

Ein altes Lied, betitelt Menschenleben.

 

 

 

Robert Hamerling                    Im Spiegel

1830 – 1889

Die Liebesrede war gemach verklungen,

Wir ruhten Herz an Herz an trauter Stelle!

Und schweigend aus des Selbstvergessens Quelle

Trank ich, in Träume selig eingesungen!

 

Da fiel mein Blick, dem Wonnetraum entrungen,

Auf eines Spiegels blanke Silberwelle:

Und drin erblickt ich in kristallner Helle

Mich selbst mit ihr, umschlingend und umschlungen!

 

An mich geschmiegt sah ich die Blütenflocken

Des Busens, sah der Augen lichte Sonnen

Und niederwogend ihre schwarzen Locken.

 

So stand ich, ein Narziß, am Zauberbronnen

Der Schönheit und bestaunte, süß erschrocken,

Das sel’ge Wunder meiner Liebeswonnen!

 

 

 

Robert Hamerling                    Sonett des Pädagogen

1830 – 1889

Es war doch schön, wie wir beisammensaßen

So Tag für Tag – o welche Zeit mir war es!

Kühl sollt ich schaun, ach, in dein Aug’, dein klares,

Und wußte mich doch eben kaum zu fassen.

 

Elektrisch knisterten die Faltenmassen

Der Seide, die du trugst; die Pracht des Haares

Umwallte dich, ausging ein wunderbares

Arom von dir – wer bliebe da gelassen?

 

Anständigst ferne standen unsre Stühle:

die schönste Stunde dir und mir verbittern

Mußt ich dozierend mit erzwungner Kühle,

 

Doch oftmals ging ein Flügelschlag, ein Wittern

So zwischen uns, daß drückend ward die Schwüle

Der Luft, die Stimme mir begann zu zittern.

 

 

 

 

Robert Hamerling                    Sehnsucht

1830 – 1889

Ich sehne mich nach goldnen Glückes Zielen.

Nach süßem Munde, holderblühten Wangen;

Von weichen Armen wär’ ich gern umfangen,

Und meine Lippen fänden gern Gespielen.

 

Ich möchte nicht umsonst mit Blicken zielen

Nach einem schönen Auge voll Verlangen:

An einem zarten Halse möcht’ ich hangen,

Und fessellos in seidner Locke spielen!

 

Wohl reizt mein sehnend’ Auge manch’ ein lichtes

Gebild, das tausend Reize hold beleben;

Doch ach, kein süßes Wort der Liebe spricht es.

 

Es hält nicht stand dem glüh’nden Liebestreben:

Der Zauber eines holden Angesichtes

Berührt mich stets nur im Vorüberschweben!

 

 

 

 

 

 

 

Robert Hamerling                    Das Schöne

1830 – 1889

Der Schönheit Götterleib ist wie zerstücket,

Zerstreut die Blumen ihres Zauberkranzes,

Den noch kein sterblich Auge sah als Ganzes,

Der voll nur der Chariten Häupter schmücket!

 

Welk flattert morgen, was uns heut entzücket,

Dahin im Wirbelwinde, flücht’gen Tanzes;

Heut strahlt ein Höchstes uns voll lichten Glanzes,

Und morgen war’s ein Schein, der uns berücket.

 

Fortunens Kugel gleich, entrollt im raschen

Umschwung vor uns der goldne Schein des Schönen;

Wir folgen ihm und können ihn nicht haschen.

 

Und nur die Muse reicht geliebten Söhnen,

Die in kastal’schem Tau das Auge waschen,

Holdsel’gen Trost in Farben und in Tönen!

 

 

 

Robert Hamerling                    Lenzensgabe

1830 – 1889

Mit seinem Füllhorn kam der Lenz gezogen,

Und Liebliches ward links und rechts entsendet:

Glanz ward dem See, dem Strome zugewendet,

Und Klang den Vöglein, die da lustig flogen.

 

Duft ward den Blumen, dran die Bienen sogen,

Azur dem Himmel, Grün dem Hain gespendet:

Und alsbald war die Fülle ganz verschwendet

An Vögel, Bäume, Blumen, Lüfte, Wogen.

 

Doch als der Lenz mich sah mit bleichen Wangen,

Da sprach er, gleich, alsob es ihn gereuet,

Daß leer allein der Dichter ausgegangen:

 

„Hin gab ich, was die einzelnen erfreuet,

Doch dir nur schenk’ ich dies gesammte Prangen,

Dein Herz versammle, was ich rings zerstreuet!“

 

 

 

 

Robert Hamerling                    Sterben für ein Schönes

1830 – 1889

Wohl ist mein Herz aus leicht entzündbar’n Stoffen,

Doch selten thut mir Frauenreiz Genüge:

Kalt weht mich an als eine schöne Lüge,

Was erst wie Himmelszauber mich getroffen.

 

Und doch ist Liebe noch mein höchstes Hoffen,

Auf ihrer Spur gehn meiner Sehnsucht Flüge.

O fänd’ ich liebenswerthe, theure Züge,

Und säh’ der Schönheit ganzen Himmel offen!

 

Bleib’ ferne mir das holde Bild, verhöhn’ es

Mit stolzem Sinn mein trautes Liebewerben,

Und keinen meiner heißen Wünsche krön’ es:

 

Gern füg’ ich diesem Loose mich, dem herben;

Ich will ja nichts, als schau’n ein wahrhaft Schönes,

Und wär’ es auch nur, um dafür zu sterben!

 

 

 

 

Robert Hamerling                    Im Dienste des Schönen

1830 – 1889

Wer immer sich dem Dienste weiht des Schönen,

Bereite sich, des Leides Kelch zu trinken:

Den Wunsch, nicht ruhmlos einst hinabzusinken,

Wird quälend ihm des Schicksals Neid verpönen.

 

Entfacht dein Aug’ die Flamme der Kamönen,

Wird oft auch d’rin der Glanz der Thräne blinken;

Wenn Lorbeerkränze deinem Haupte winken,

So sei gefaßt, daß Dornen auch es krönen!

 

Wie selig oft auch deine Pulse beben,

Nicht immer wirst du dich auf Blumen wiegen,

Nicht immer hoch auf gold’ner Wolke schweben.

 

Der Muse Liebling kann den Tod besiegen,

Doch beugt dafür den Nacken ihm das Leben,

Und zwingt ihn, schnödem Joche sich zu schmiegen!

 

 

 

 

Robert Hamerling                    Verlorene Liebe

1830 – 1889

In meinem Herzen wogt und klingt die Liebe,

Der Strom der Sehnsucht, heiß und allumfangend;

Nach außen strebt er stürmisch, glutverlangend –

Was wäre Sehnsucht, die verhohlen bliebe?

 

Doch es umkränzt den Quell so glüh’nder Triebe

Kein Blütenufer, glatt und weich und prangend;

Ihm blaut kein Meeresschoß, drin lust-erbangend

Und todesfroh sein sel’ger Strom zerstiebe.

 

Wie hoch vom Felsenrand, dem scharfgezackten,

Im Waldesdunkel, fern dem Glanz der Sonnen,

Der Bergstrom stürzt in düst’ren Katarakten:

 

So stürzt, aus himmelnahem Quell geronnen,

Vertosend einsam in des Liedes Takten,

In öde Nacht sich meiner Liebe Bronnen!

 

 

 

 

Robert Hamerling                    Liebesgeschick

1830 – 1889

Zu Blumen schmiegt’ ich mich in süßem Minnen,

Sie welkten hin und ließen mich alleine:

Nach Stralen hascht’ ich, goldig buntem Scheine,

Doch bald auch schwand der schöne Glanz von hinnen.

 

Nach Klängen lauscht’ ich mit entzückten Sinnen,

Doch allsogleich starb ihre Spur im Haine:

Und was ich liebend gern genannt das Meine,

Es schwand dahin, ich durft’ es nicht gewinnen.

 

Und wie der Schiffer zagt, mit Blicken hangend

An Küsten, die ihm fern in Duft verschwammen,

So zag’ ich, um Verlornes schwer erbangend.

 

Es schlugen sehnend meiner Liebe Flammen

Empor – umsonst! Und nun, nach Stoff verlangend,

Verzehren sie das Herz, aus dem sie stammen!

 

 

 

 

Robert Hamerling                    Stimmen der Tiefe

1830 – 1889

Auf öder Haide, wo nur Mücken schweben,

Leg’ ich mein Ohr an’s Herz der stillen Erde,

Auf daß mir offenbar ihr Pulsschlag werde,

Ihr Athemzug und ihr geheimstes Leben.

 

Was spricht die Tiefe? horch! Nichts Neues eben:

Noch geh’n den alten Trott die wilden Pferde

Neptuns, und noch steht am Cyclopenheerde

Die Mühsal, hämmernd, schwitzt und seufzt daneben.

 

Auch ist noch Gras nicht über deine Frage

Gewachsen, alte Sphynx, und wild aufbrauset

Avernus fort und fort in dumpfer Klage.

 

Schön ist das Leben, wo die Sonne hauset,

Doch düster bleibt sein dunkler Grund.   Nicht wage

Zu lauschen: wer hinunterhorcht, dem grauset.

 

 

 

 

Robert Hamerling                    Von wannen?

1830 – 1889

Meerüber strebt das Vöglein und berühret

Die Woge nicht mit seinen müden Schwingen:

Zum ersten Mal meerüber strebt’s zu dringen,

Von unbewußtem Herzensdrang geführet.

 

da weht von Küsten, die der Lenz erküet,

Ein Duft herüber und ein lockend Klingen,

Das Vöglein staunt und jauchzt: woher entspringen

Die Wonnen, die mein Herz so lieblich spüret? –

 

So liegt, ein Abgrund, unter uns das Leben,

Ein trübes Schicksal, das die Parzen spannen,

und d’rüber hin geht unser sehnend Streben:

 

Oft aber rauscht der trübe Sturm von dannen,

Und neuer wellen Wunder uns umschweben

Im Dämmerschein – wir wissen nicht von wannen?

 

 

 

 

Robert Hamerling                    Seliges Leid

1830 – 1889

Ein flüchtig Nah’n, ein eiliges Entschweben,

Ein kurzer Blick, dann langes Nichtbeachten!

Gesenkten Haupt’s ein träumerisches Trachten,

Dann wiederum ein stolzes Sicherheben;

 

Im Aug’ ein zartes Glüh’n, ein holdes Beben,

Dann wieder trotzig blickendes Verachten;

Im Mund ein Lächeln, ein geheimes Schmachten,

Dann kalter Ernst und strenges Widerstreben:

 

So zeigt sich mir, so lohnet mich die Holde.

Ich aber lächle selig, still zufrieden,

Verlange kaum nach andrem Minnesolde.

 

Hat auch mich Manche nicht so streng gemieden,

Mir aufgethan des Herzens Blütendolde,

So sel’ges Leid hat keine mir beschieden!

 

 

 

 

Robert Hamerling                    Spiel der Blicke

1830 – 1889

Ach, meine Blicke, trunk’ne Vögel, spreiten

Die Schwing’ im weiten Saal nach ihr alleine:

Ihr Auge aber meidet stets das meine,

Und scheut sich, Stern in Stern den Blick zu leiten.

 

Wohl streift er mich in holder Näh’ zu Zeiten,

Irrt spielend mir ums Haupt mit süßem Scheine,

Um, wenn ich ihn beglückt zu haschen meine,

Mit kühlem Stolze wieder abzugleiten.

 

Nur wenn der Schönen Kranz um sie verdichtet

Sich drängt, und mir verbirgt mein süßes Hoffen,

Dann aber sich der Schwarm ein wenig lichtet:

 

Da seh’ ich durch ein Spältchen, lieblich offen,

Urplötzlich oft von fern auf mich gerichtet

Ein spähend Feuerauge, süß betroffen!

 

 

 

Robert Hamerling                    Von theurer Hand

1830 – 1889

Des Gegners Haß, er wäre zu verschmerzen:

Doch wie die Stacheln, umbewußt getrieben

In uns’re Brust von Denen, die uns lieben?

Von theurer Hand geh’n Pfeile tief zu Herzen!

 

Ich halte vor dem Feind den Leib mit Erzen

Gepanzert; doch vor dir in milden Trieben,

O Kind, ist offen meine Brust geblieben.

Bedenk’ es, kommt der Wille dir, zu scherzen!

 

Von hundert Feindespfeilen trifft nur Einer

Das Ziel, doch spitze Freundesworte bohren

In’s Mark sich alle, sicherer und feiner.

 

Man hat mir tausendfach, seit ich geboren,

Das Herz verwundet, doch so tief hat Keiner

Mir weh gethan, als du, die mich erkoren!

 

 

 

 

 

Robert Hamerling                    In ihrem Auge

1830 – 1889

Wenn zauberhaft der Bühne Wunder prunken,

Und leiser ahmend lauscht des Hauses Runde,

Da blein’ ich, lauschend einer schöner’n Kunde,

Nur in dein holdes Angesicht versunken.

 

Doch ich verliere nichts.   Es spiegelt trunken

Der Scherz, es spiegelt Rührung, die vom Munde

Des Mimen schwebt, in deines Auges Grunde

Sich wunderbar und spielt in Thränenfunken.

 

Liebreizend geht die Nähe, geht die Ferne,

Gehn Lust und Leid und alle Weltgeschichten

Vorüber mir in deinem Augensterne;

 

Und es befängt, was edle Sänger dichten,

Weil ich’s versteh’n aus deinen Augen lerne,

Mich doppelt schön in lieblichen Gesichten.

 

 

 

 

Robert Hamerling                    San Andrea

1830 – 1889

I.

 

Am Festtag rauscht’s von schimmernden Gefährten

An San Andrea’s wunderschönem Strande,

Zur Rechten See, verrieseln sacht im Sande,

Zur Linken Blattgelispel, grüne Gärten.

 

Dazu Tergeste’s Frau’n, die Siegbewährten!

Ein Festzug scheint’s, der hold im Meereilande

Der Kypris hinwogt, und vom Uferrande

Sich spiegelt in der Flut, der blauverklärten.

 

O hier ist’s lieblich, auf- und abwärtsschlendern!

Bald gängelt dich mit Reizen ohne Namen

Das prächt’ge Seebild wie an Liebesbändern:

 

Bald wieder scheinen dir die stolzen Damen

Des Bildes Kern in ihren Prunkgewändern,

Und Meer und Himmel nur ein schöner Rahmen.

 

 

II.

 

Der Seestrand rauscht von schimmernden Karossen;

Mich aber lockt vor allen Ein Gespanne:

Das trägt, mich fesselnd wie mit Zauberbanne,

Das schönste Weib, liebreizend hingegossen.

 

Ist das die Meerfei, die mit Neptuns Rossen

Der nahen Flut entstieg, mir armem Manne

Zum Unheil, und für eine Zeitenspanne

Verließ die Muschelgrotte, meerumflossen?

 

Schon abseits rollt, sieh, von der Menschen Rotte

Der Wagen, während, jüngst noch ein Gesunder,

Ich hinterdrein wie traumverloren trotte.

 

Gleich wird der holde Spuk, der Liebeszunder,

Ins Wasser gleiten und in seine Grotte

Mich niederzieh’n das schöne Meereswunder.

 

 

 

 

 

 

Robert Hamerling                    Gewitter im Walde

1830 – 1889

Es braus’t der Forst, Gewitterwolken fliegen,

Der Bach durchtobt die Schlucht in Finsternissen,

Gestein und Trümmer stürzen hingerissen,

Und krachend sich die hohen Wipfel biegen.

 

Die Thiere tief sich in die Klüfte schmiegen:

Ein still Asyl muß nur der Wand’rer missen?

Doch – bei der Blitze Schein, dem ungewissen,

Seh’ ich vor mir die sich’re Grotte liegen.

 

Ich lag’re hin im weichen Moose mich:

Da kommt im Traum die Schönste mir der Schönen

Und neigt zu mir sanft mit Gekose sich.

 

Und während fernher die Gewitter dröhnen,

Erschließt mein Herz wie eine Rose sich,

Und stillt den Sturm mit Lieb’ und Liedestönen.

 

 

 

Robert Hamerling                    Besorgniß

1830 – 1889

Was dieses Herz als höchste Wonne spüret,

Dein holdes Bild, ich schau’ es oft mit Beben:

Wird es so rein mich immerdar umschweben,

Wenn auch dem Blick, doch nicht dem Sinn entführet?

 

Es stirbt die Flamme, noch so heiß geschüret,

Und Liebe selbst lebt oft ein flüchtig Leben:

Dem Sinn entschwindet wieder, was ihn eben

Gleichwie mit ew’ger Zaubermacht gerühret.

 

Ich hob manch’ holdes Bild auf lichtem Schilde,

Und mußte doch nur allzubald verneinen

Der jüngst gepries’nen Züge Reiz und Milde.

 

Weh mir, wenn jemals mählig auch die deinen

In mir erblassen gleich dem Nebelbilde,

Und selbst im Traume mir nicht mehr erscheinen!

 

 

 

Robert Hamerling                    Stimme der Wahrheit

1830 – 1889

Und spräche Wahrheit laut wie Donnerwetter,

Und hätte sie des Sturmwind’s eh’rne Lungen,

Und des Kanonenschlund’s metall’ne Zungen,

Und der Posaune kräftiges Geschmetter,

 

Und wär’ der Meerschwall selber ihr Trompeter,

Vom Tageslärm würde doch ihr Wort verschlungen,

Vom schrillen Chor des Blödsinn’s überklungen

Und von des Hasses kleinlichem Gezeter.

 

Nur merke dies: kurzathmig ist die Narrheit:

Wie laut des Blödsinns Chor mag jubiliren,

Ermatten muß doch endlich sein Gedröhne.

 

Doch einen langen Athen hat die Wahrheit:

Ihr Wort, es klingt in seiner stillen Schöne

Geruhig fort, bestimmt zu triumphieren.

 

 

 

Robert Hamerling                    Kosmogonie

1830 – 1889

Die Wasser grauten, schrankenlos ergossen,

Kein Eiland noch in ihrem Schooße wiegend;

Da stieg der Gott des Lichts am Himmel siegend

Empor mit seinen gold’nen Flammenrossen.

 

Es sah die Flut den Himmel aufgeschlossen,

Sehnsuchtsentbrannt in ihren Tiefen liegend:

Und sieh! er senkte sich, zu ihr sich schmiegend,

Und seines Liebesegens Borne flossen.

 

Wohl riß er los sich aus dem Wonnebunde

Von ihr – doch sieh, in tausend Blütenländern

Entstieg der Liebe Frucht dem feuchten Grunde.

 

Und wie der Sterne Kuß auf Blumenrändern

Zur Perle wird, blüht jener sel’gen Stunde

Gedächtniß fort in holden Liebespfändern!

 

 

 

Robert Hamerling                    An Jadviga

1830 – 1889

Was tönt dein Wort so lieblich meinen Ohren?

Was folgen stets mir deiner Augen Sterne?

Ich höre, seh’ dich, ach, nur allzugerne,

Und bald isst ganz mein Herz an dich verloren.

 

Es strahlt ein Ideal mir, längst erkoren;

In ew’ger Liebe such’ ich’s nah und ferne.

Will nun dein lockend Aug’, daß ich verlerne

Die Treu’, die ich der hohen Braut geschworen?

 

Fahr’ wohl – wozu soll deine Näh’ mir taugen,

Als aus dem Bronnen deines Augengrundes

Von süßem Gifte ganz mich vollzusaugen?

 

Schon allzulüstern träumt mein Herz, mein wundes,

Vom sterngestickten Himmel deiner Augen,

Und von der Rosenknospe deines Mundes.

 

 

 

Robert Hamerling                    Natalie

1830 – 1889

Da braus’t sie hin mit feurig stolzen Rossen,

Beschwingten Zugs, begafft von ihren Rittern,

Der Glieder Pracht umrauscht von seid’nen Flittern,

Auf üpp’ge Polster lässig hingegossen.

 

Was sind der spröden Schönen, glanzumflossen,

Die Huldigungen, die sie scheu umwittern?

Nicht mehr als Veilchen, die mit leisem Zittern

In ihrer Räder Spur am Wege sprossen.

 

Am nahgedrängten Schwarm gezierter Faunen

Verdrossen gleitet ab ihr Blick in Eile:

Die Glanzumstrahlte seufzt in trüben Launen.

 

O vielbeneidet’ Ziel der Liebespfeile,

Mein Loos, umsonst dich sehnend anzustaunen,

Ist sel’ger doch als deine Langeweile!

 

 

 

Robert Hamerling                    Aspasia

1830 – 1889

In deiner Formen Wundern les’ ich gerne,

Im Lippenpurpur, schwarzen Glanz der Haare:

Das sind zu griech’schen Skolien Commentare,

Daraus ich schönes, sel’ges Leben lerne!

 

Verbleichen müssen Rosen, Perlen, Sterne,

Der Tropenschatz der Dichtung langer Jahre;

Weil gänzlich neu dein Reiz, der wunderbare,

Ist eine neue Poesie nicht ferne!

 

Wetteifernd sich entgegen stand in Spaltung

Natur und Kunst. Nun siegt Natur. Gespendet

Hat sie in dir das Höchste der Gestaltung.

 

Wie käme, solcher Schöne zugewendet,

Nicht jedes Sein zu wonniger Entfaltung?

Wohl ihm, der sich an deiner Brust vollendet!

 

 

 

 

Robert Hamerling                    Flatternde Locken

1830 – 1889

O knüpfe los die langen, gold’nen Flechten,

Und laß sie lieblich flatternd niederhangen!

Viel süßer ist’s, mit wildumlockten Wangen

Der Küsse holden Wettkampf auszufechten!

 

Du zürnst?  Wie magst du mit dem Freunde rechten

Um eine Schleife, weichend aufgegangen!

Des Haares Schleifen sind nicht Gürtelspangen;

Und läßt die Locke sich nicht wieder flechten?

 

O sieh, wie schön du bist – wie reizend fliegen

Die Locken jetzt um deine Liljenglieder,

Um sich zuletzt in deinen Schooß zu schmiegen!

 

Die Liebesgötter nah’n im Glanzgefieder,

Auf diesen gold’nen Seilen sich zu wiegen,

Und klettern lustig spielend auf und nieder!

 

 

 

Robert Hamerling                    Norditalienische Reise-Sonette

1830 – 1889

I. - Venezia

 

Auftauchen sie, die meerumrauschten Zinnen,

Zahllos, wie Zacken eines Riesenspeeres;

Die gold’ne Zauberstadt im Schhoß des Meeres,

Sie muß das sprödeste Gemüth gewinnen!

 

San Marco hält das süßberauschte Sinnen

Des Nachts im Banne seines Flammenheeres;

Leicht wird ein schweres Herz und voll ein leeres,

Und Jeden überkommt ein selig Minnen.

 

Hier bau’n mit Recht sich, froh des gold’nen Traumes,

Poet’sche Wandervögel ihre Nester,

Gleichwie im Schatten eines Wunderbaumes.

 

Bist nicht umsonst der Aphrodite Schwester,

Venezia, gleich ihr ein Kind des Schaumes:

Denn wer dir naht, den hältst du täglich fester!

 

 

II. - Die Lagunenbrücke

 

O Wunderbrücke, die in Meeresmitte

Des Dampfes Rosse donnernd überfliegen,

Bist du, gefügt von Götterhand, entstiegen

Dem Zauberreich der blauen Amphitrite?

 

Die Woge seufzt, als ob ungern sie litte,

Daß sich auf ihr die schweren Joche wiegen:

Ha, Stolze, mußtest du dich endlich schmiegen,

Und setzt ein Sieger dir aufs Haupt die Tritte?

 

Nicht die bezwangen dich, die dich erwählten

Zum Wohnsitz, trauend dir und ihrem Glücke,

Nicht jene Dogen, die sich dir vermählten,

 

Noch der den Marenslöwen hieb in Stücke:

Die Hände thaten’s erst, die ungezählten,

Die auf dich legten diese Riesenbrücke!

 

 

III. - Torcello

 

Du bist das liebste mir der Meereilande,

Die in Venedigs Golf ihr Haupt erheben,

Soviel der Woge mutterzärtlich Leben

Umheget mit saphirnem Liebesbande.

 

Trägt mich entlang an deinem Blütenstrande

Die Gondel, wo Granaten blüh’n und Reben,

Da dünk’ ich als ein Falter mir zu schweben

Auf einer Zauberblume goldnem Rande.

 

Du träumst so süß in blauer Wellenwiege,

Und ich in dir, wenn traulich, schmerzenthoben,

Mein Haupt ich unter deine Blumen schmiege.

 

Dein Blütentraum ist’s, dessen sel’ges Toben,

Indeß im hohen Gras ich sinnend liege,

Durch’s Herz mir weht, und klingend jauchzt nach oben.

 

 

IV. - Monte Berico in Vicenza

 

Vicenza!   Schönheitszauber, nicht zu sagen,

Durchwaltet deine Gassen, deine Räume;

Hier lockt michs wundersam, auf daß ich säume,

Ich holde Bande fühl’ ich mich geschlagen.

 

Wie edel rings die Prachtpaläste ragen,

Palladio’s steingeword’ne Griechenträume!

Olympisch heiter wandl’ ich.  Unter Bäume

Den Berg hinan fühl’ ich mich wie getragen.

 

Da glänzt die Perle nordital’scher Lande

Auf gold’ner Au, wo Grün und Blüten regnen,

Im Kranz der Höh’n mit dämmerblauem Rande.

 

Und wie im Ueberflusse mich zu segnen,

Muß von des Bachiglione grünem Strande

Mir noch die Rabenlockigste begegnen!

 

 

V. - Villa Giusti in Verona

 

Ich sah, Verona, dich von deinen Brücken,

Reizprangend, unter mir die Flut, die schnelle;

Doch herrlicher von dieser trauten Stelle,

Wo Rosen und Cypressen mich entzücken.

 

Schön bist du, doch du wolltest dich nicht schmücken

Blos mit Palästen, Grün und Stromeswelle:

Den Mauernkranz der Zinnen und Castelle

Wollt’st, ernste Jungfrau, dir aufs Haupt du drücken.

 

Das Sanmicheli Herrliches vollbringe,

Berührt’ ihn, als er ruht’ in tiefem Sinnen,

Der Römeraar mit seiner mächt’gen Schwinge:

 

Der, ob auch die Jahrhunderte verrinnen,

Auf der Arena steingethürmten Ringe

Noch sitzt, und nächtlich kreis’t um ihre Zinnen.

 

 

 

Robert Hamerling                    Böse Tage

1830 – 1889

O, Tage gibt’s, so traurig und so bleiern,

Wo über uns die bunten Prachtcoulissen

Der Weltenscene hängen wie verschlissen,

Und wie beträuft von trüben Nebelschleiern.

 

Ruf’ nicht die guten Geister dann: sie feiern,

Der Lethargie durch kein Gebet entrissen,

Und die Natur, sonst holden Trost’s beflissen,

Sie brütet wie auf Basiliskeneiern.

 

Geh’ nicht in solcher Zeit zum Musensitze,

Noch auch zum Lieb’: beschnitten wirst du sehen

Die Flügel deinem Muthe, deinem Witze.

 

Nur Eines hilft; beug’ ohne Klag’ und Flehen

Das Haupt und faß’ ins Aug’ die Nasenspitze,

Und laß den bösen Tag vorübergehen.

 

 

 

Robert Hamerling                    An eine Harfnerin

1830 – 1889

Wenn deine Hand zu wild die Harfe rühret

Mit raschem Griff, da faßt mich ein Erbeben,

Mir ist, als würde tief in warmes Leben,

Tief in ein weiches Herz ein Griff geführet.

 

Ja, glaub’ es nur: verborg’ne Schmerzen schüret

Dein Fingerdruck; die deiner Harf’ entschweben,

Die gold’nen Klänge, Seufzer sind es eben:

Sie hat ein Herz, das deine Griffe spüret.

 

Du weißt nicht, liebes Kind, was es bedeute,

Wenn eines Herzens Fibern, heiß durchglutet,

Aufwühlt des Schicksals Hand als Schmerzensbeute,

 

Indeß bewundernd, lieblich überflutet

Vom Strome seiner Melodie’n, die Leute

Dasteh’n, nicht glauben können, daß es blutet.

 

 

 

Robert Hamerling                    Ihr Herz

1830 – 1889

Wen deiner Töne Funkensaat umstoben,

Der glaubt aus Feenlanden dich gesendet,

Und reiht, was Schönstes Reim und Rede spendet,

Zum Kranze, dich zu rühmen, dich zu loben.

 

Und wer sein Aug’ von fern zu dir erhoben,

Der staunt dich an, erglüht und steht geblendet,

Und liebt dich, fromm und scheu dir zugewendet,

Wie man die Engel liebt im Himmel droben.

 

Doch wem dein schönes Herz sich aufgeschlossen,

Wer Wochen lang dich schaut’ und grüßte täglich,

Und einen Kuß nur deines Mund’s genossen:

 

Der wein’ und sterbe: denn er muß unsäglich

Unglücklich werden, oder glückumflossen

in einem Maß, das Menschen unerträglich.

 

 

 

Robert Hamerling                    Im Sturme

1830 – 1889

Hörst du des Meers krystallene Sirenen,

Die Wogen, ihre nächt’gen Lieder singen?

Siehst du, wie tanzend sie den Reigen schlingen,

Und jauchzend sich mit Schaum-Demanten krönen?

 

Die Wolken zieh’n, des Strandes Klippen dröhnen,

Der Wald erwacht, und jauchzt, miteinzuklingen,

Indeß, emporgescheucht auf Rabenschwingen,

der Mondnacht Geister in den Lüften stöhnen.

 

Dazwischen ist’s, als ob sich Stimmen riefen,

Als ob sich liebend Meer und Aether mische,

Die einst vereint in Chaoswiegen schliefen.

 

Schaumperlen schickt dem Aether mit Gezische

Die Flut empor, und ihr durchströmt die Tiefen

Sein Liebeshauch mit reiner Lebensfrische.

 

 

 

Robert Hamerling                    Verschollene Liebe

1830 – 1889

Was nahst du wieder, neu mich zu besiegen

In Liebesklängen, zarte Liebesklage?

Du weckst des Glückes lang verscholl’ne Frage

Und Seufzer, die gebannt im Herzen liegen.

 

In alte Träume mich die Klänge wiegen,

Im Herzen klingt’s wie Märchen mir und Sage,

Und aufersteht die Sehnsucht alter Tage,

Mein müdes Haupt an ihre Brust zu schmiegen.

 

Doch wenn sich sehnend aus die Arme strecken,

Und all’ mein Herz ruft: Komm, mein süßes Leben!

Da nah’n sich wirre Bilder, mich zu schrecken.

 

Ich seh’ sie nah’n und wieder mir entschweben,

Mit dunklem Fittig Träume mich bedecken,

Mein Sinn wird trüb, mein Herz erfaßt ein Beben.

 

 

 

Robert Hamerling                    Einer Gefeierten

1830 – 1889

Wenn einmal ich an deine Thüre poche,

Da sitzen, alle Freude mir zu stören,

Die Schmeichler schon um dich in ganzen Chören:

Alltagsgeplauder hält mich schnöd’ im Joche.

 

Du ahnst nicht, wie es mir im Busen koche,

Wie diese Leute mir das Blut empören.

Mußt du denn ewig andern angehören?

Hast du für mich kein Stündchen in der Woche?

 

Wenn ein berühmtes Weib den Sinn bezwungen,

Weh’ ihm, bald ist er kläglich aufgerieben,

Ein kranker Mann an Seele, Herz und Lungen!

 

Wär’ jeder Schönen doch in’s Herz geschrieben

Und in der Wiege mahnend zugesungen:

Bleib’ unberühmt, o Kind, denn du mußt lieben!

 

 

 

Robert Hamerling                    Die Rosenknospen

1830 – 1889

Sie wollte traut mir eine Rose reichen,

Doch keine blühte voll noch in den Hagen;

Sie aber pflückte Knospen ohne Zagen,

Und gab sie mir als süßer Liebe Zeichen.

 

Gebroch’ne Knospen, holde Blumenleichen,

Welkt ihr so früh in gold’nen Lenzestagen?

Um süßer Liebe Botschaft anzusagen,

Muß euer junges Roth so bald erbleichen?

 

Und dennoch preis’ ich euch als selig todte:

Wohl habt ihr euch zur Krone nicht geründet,

Und seid nicht aufgeblüht im Purpurrothe;

 

Doch hat euch Todeswonne süß entzündet:

Denn selig stirbt, wer als ein Liebesbote

Gesendet ward und Himmlisches verkündet!

 

 

 

Robert Hamerling                    An Marie

1830 – 1889

I.

 

Wie bist du schön, wenn deine Augen leuchten!

Wie lieb’ ich deine edelblassen Züge!

O daß doch nie der Stunden letzte schlüge,

Die mich so süß in deiner Nähe däuchten!

 

Doch die den Gram aus meiner Seele scheuchten,

Die Stunden, thun sie auch dir selbst Genüge?

Ach, wenn ich dich nach deinem Herzen früge,

So würde wohl dein Auge sich befeuchten!

 

Du liebst! du schwelgst in einem fernen Bilde!

Es schweift, indem mein Sinn zu dir sich wendet,

Der deine nach entlegenem Gefilde!

 

Und dennoch zoll’ ich Dank dir, der nicht endet:

Wofür?  für all’ des Segens hohe Milde,

Den unbewußt ein holdes Auge spendet!

 

 

II.

 

Da deine Brust doch nie mein Ruhepfühl ist,

Kann dein Gekose mir nur Schmerz bereiten;

O triefe nicht von Liebenswürdigkeiten,

Wenn leer dein Herz und deine Seele kühl ist!

 

Wem nicht geweiht dein innerstes Gefühl ist,

Dem mußt du, schmerzet dich das Haupt zu Zeiten,

Nicht gleich vertraut die Hand zur Wange leiten,

Zur Stirne, daß er fühle, wie sie schwül ist!

 

Nie drücke Hände warm, die dir nicht theuer!

Nie schling’ um den in holdem Scherz die Arme,

Den du nicht grüßen magst: „mein Vielgetreuer!“

 

Ich bin dir ja nur einer aus dem Schwarme:

Verschwende nicht an mich dies schöne Feuer,

Wenn du nicht willst, daß ich für dich erwarme!

 

 

III.

 

Ich werde nie die Frucht der Liebe brechen

Vom Baum der Schönheit schleichend wie die Diebe,

Noch werd’ ich je als Bettler süßer Triebe

Am Gnadentisch des Mitleids mich bezechen.

 

Du würdigst dich, vertraut mit mir zu sprechen,

Und schmollst, und fragst, warum ich fern dir bleibe?

Die kleine Scheidemünze deiner Liebe,

Sie will ein reiches Dichterherz bestechen?

 

Du liebst mich nicht.   Laß ab, das dauerlose

Almosen deiner Huld mir zuzumessen:

Dein Sinn ist flüchtig, wie der Duft der Rose.

 

Nicht zähl’ ich mich zu denen, die man pressen

Darf an die Brust mit freundlichem Gekose,

Dann sagen: geh, und lerne mich vergessen!

 

 

 

 

Robert Hamerling                    Ermüde nicht

1830 – 1889

Mein sehnend Herz, ermüde nicht zu lieben,

Ermüde nicht zu klagen und zu dichten,

Ermüde nicht, im Liede zu berichten,

Durch wen du leidest, und in welchen Trieben!

 

Oft rührt die Mädchenherzen zart geschrieben

Die Klage, die gesprochen rührt mit nichten,

Und mußt auf Myrth’ und Rose du verzichten,

Getrost, dir ist der Lorbeer doch geblieben.

 

Sehnsucht ist Wiege für den Dichterorden:

Sie hat die gold’ne Lyra den Poeten

Gestimmt, so viel geblüht in Süd’ und Norden;

 

Die seuften all’ in solcher Triebe Ketten,

Und wären sie der Liebe froh geworden,

Nie hätten sie des Ruhmes Höh’n betreten.

 

 

 

Robert Hamerling                    Langeweile

1830 – 1889

Verdrossen ruht der Condor auf den Hängen

Des Hochgebirgs und starrt hinaus ins Leere,

Wenn er genug der Beute, d’ran er zehre,

Emporgerafft in seinen Riesenfängen.

 

Verdrossen ruht der Löw’ in Felsengängen,

Bis Hunger wach ihn hetzt mit scharfem Speere:

Und Wal und Hai, die Könige der Meere,

Verdrossen sich in öder Tiefe drängen.

 

So sind, die leben, all’ des Trübsinn’s Narren,

Gewohnt, sie wissen nicht, nach welchem Heile

Sphynxgleich, verdross’nen Blicks, hinauszustarren.

 

Gelangweilt, wie berührt vom blei’rnen Pfeile

Des Ueberdrusses, ruh’n wir all’ und harren:

Der Weltschmerz ist sublime Langeweile!

 

 

 

Robert Hamerling                    Du

1830 – 1889

Noch zarter, als die ich dir sang, die Lieder,

Noch süßer als ein Kuß, von dir gegeben,

Ist jenes holde Du, mein süßes Leben,

Das traulich zwischen uns geht hin und wieder.

 

Ein Vöglein scheint es mir im Glanzgefieder,

Deß’ goldne Schwingen leise zu mir streben:

Mein Ohr berührt’s in wunderholdem Schweben,

Und läßt zuletzt sich mir im Herzen nieder.

 

Zu künden das Geheimniß ganz, das süße,

Versuchten wir mit Worten leeren Schalles:

Nun fanden wir den sprechendsten der Grüße.

 

Was braucht es noch des Reims und Silbenfalles?

Was selbst der Liebesblicke, Thränen, Küsse?

Mit Einem Wörtchen sagen wir uns Alles.

 

 

 

 

Robert Hamerling                    Regen im Walde

1830 – 1889

Der glüh’nde Sonnenpfeil erlosch im nassen

Gewölk und rieselnd nieder rauscht der Regen:

Mit Blätterzungen trinkt der Wald den Segen,

Und Blumen ihn in ihre Kelche fassen.

 

Doch sieh’, der Waldstrom wühlt sich steil’re Gassen

Im Steingeröll und rüttelt an den Stegen;

Wild tobt er hin auf stillen Waldeswegen,

Wo Veilchen blühten, Vöglein zwitschernd saßen.

 

Mit tollem Hader schleudert er Empörung

In’s traute Waldesreich; zuletzt erliegend,

In schwarzen Schluchten büßt er die Bethörung.

 

Die frommen Blumen aber, die, sich schmiegend,

Gesenkten Haupts verträumt die kurze Störung,

Erwachen, Perlen in der Krone wiegend.

 

 

 

Robert Hamerling                    Erinnerung an Venedig 

1830 – 1889

I.

 

Ruh’n still im Abendglanze die Cadoren,

Des Alpenzuges letzte Hügelgruppe,

Da strebt, als ob ein Falter sich entpuppe,

Mein Herz meerüber nach des Westens Thoren.

 

Und in der Meeresferne still verloren,

Streift ab mein Aug’ des Erdenstaubes Schuppe;

Da dämmert ihm San Marco’s Silberkuppe,

Die Mondesstrahlen wunderbar umfloren.

 

Und liebe Stätten, altgewohnte Pfad

Der Zauberstadt, sie tauchen auf, es schimmert

Der Fackelkranz, es wimmeln die Gestade.

 

O Wunderbrücke, die die Nacht mir zimmert,

Du zeigst zu oft mir jene Serenade,

Und, ach, das Aug’, das mir im Schwarm geflimmert!

 

 

II.

 

Ein Auge war es, schwarz und mitternächtig,

Und taghell doch, das Aug’, dem ich ergeben:

So liebefeucht, so mild in süßem Beben,

Und doch so kühn, so stolz, so zaubermächtig.

 

Was war des Mondes Scheibe, rein und prächtig,

Was war mir der Piazzetta rauschend Leben

Und aller Gondeln meergewiegtes Schweben?

Ich schaute sie, von süßer Flamme trächtig.

 

Die Melodie’n, der Glanz, des Aethers Milde,

Das Alles schien von ihr nur herzufließen,

Und blieb verknüpft mit ihrem lieben Bilde.

 

So mußt’ ich mit ihr all’ die Pracht verschließen

In meines Herzens Zauberspiegelschilde,

Zu steter Sehnsucht schmerzlichem Genießen.

 

 

 

Robert Hamerling                    An M. M.

1830 – 1889

die nah’ mir kamen, freundliche Gestalten,

Sie sind ein Stück von meines Herzens Leben:

Ob auch sie ferne wieder mir entschweben,

Ich weiß im Innern doch sie festzuhalten.

 

In’s Geisterreich, wo Haß und Tod nicht walten,

Weiß ich Erkor’ne traut emporzuheben,

Wo sie wie Genien mich hold umgeben,

Um mir, wie Götterbilder, nie veralten.

 

Wer so verwuchs mit meines Herzens Triebe –

Es bleibt mir stets das Bild von ihm ein reines,

Ob er auch feindlich ewig fern mir bliebe.

 

So bist du mir der theuren Bilder eines,

Ob zwischen uns auch stockt das Wort der Liebe,

Kein Blick mehr geht von deinem Aug’ in meines.